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Über Zucht und Zufall - Die Genetik der Gangpferde

Fachartikel, Julia Pernice, Vogelstockerhof 2023

 

  1. Einleitung und Begriffsverwendung

    • Definition TÖLT

Tölt ist ein Viertakt, darüber sind sich Menschen aller Gangpferderassen einig aber gibt es nur DEN Tölt? Jeder, der sich eine Zeit lang mit dem Tölt befasst hat, lernt früher oder später, dass der Tölt sich nicht nur von Gangpferderasse zu Gangpferderasse unterscheidet, er unterscheidet sich auch in der Gangmechanik innerhalb der Rassen und von Pferd zu Pferd oft sehr stark. Der Tölt kann mechanisch gesehen als Dreibeinstütze (typischerweise zum Beispiel Peruaner) als Zweibeinstütze (z.B. sehr häufig Isländer, Traber oder Saddler ) oder als Einbeinstütze (zB Speed Racking Horse aber auch gute Isländer) ausgeführt werden.

Nun höre ich schon den ein oder anderen kritisieren: Der Peruaner geht ja gar keinen Tölt, sondern Pasollano, der Isländer geht natürlich immer Einbeinstütze (ehrlich?) und der Saddler oder Traber kann ja auch Einbeinstütze (ist das so?).

Diese Fragen zeigen schon auf, dass die Missverständnisse schon in der unterschiedlichen Verwendung der Begrifflichkeiten beginnen und sich in der unterschiedlichen Wahrnehmung und Erfahrungswelt fortsetzen. Ich beziehe mich hier auf meine Erfahrungswelt und das, was ich persönlich unter Tölt (für unsere Speed Racking Horses „rack“) verstehe und was ich in 25 Jahren Gangpferdezucht, Beritt sowie wissenschaftlicher Recherche gelernt habe. TÖLT ist nach meiner Definition ein sauberer Viertakt, der in der Ein-, Zwei- oder Dreibeinstütze ausgeführt werden kann.

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       2. Arten der Gangmechanik

Wenn man sich mit dem Tölt beschäftigt und viele töltende Pferde geritten ist, weiß man, dass es riesige Unterschiede gibt und dass diese Unterschiede Trainingsaufwand, Reitspaß, Leichtrittigkeit und Tempovarianz ganz erheblich verschieben. Zwischen den Rassen aber auch zwischen den einzelnen Pferden.

Diese Unterschiede rühren neben relativ einfachen Dingen wie Trainingszustand, zu 95% aus der genetischen Veranlagung. Alle Rassen sind dahingehend gleich, dass es Pferde gibt, die passiger sind, solche , die trabiger sind und solche, die „square like a box“ sind wie der Amerikaner sagt also quasi in keine Richtung verschoben und genau in der Mitte liegen.

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     2.1 Laterale Gangpferde

Beim passigen Pferd, egal welcher Rasse, ist der Tölt in aller Regel beim anfänglichen Einreiten relativ leicht zu finden. Anfangs freut man sich, dass man aus einem langsamen Schritt, sofort in einen langsamen Tölt finden kann. Bewegt man sich im Training weiter, so setzt die Frustration ein, weil man sich aus dem anfänglichen Erfolg kaum fortbewegt. Es erfordert kontinuierliches Training, Gymnastizierung und Förderung der Beweglichkeit sowie Arbeit, um den Rücken zu lösen und Muskelaufbau, um sich aus diesem Stadium weiterzuentwickeln und ein kurzes Stehen des Pferdes, wirft einen stark zurück.

Warum ist das so? Aus meiner Sicht liegt der Grund darin, dass das Pferd für den Tölt zwar eine gewisse Körperspannung braucht, diese passigen Pferde aber im Grunde genommen dazu neigen, zu viel Körperspannung aufzubauen, im Rücken zu verspannen und dadurch über einen langsamen Schritttölt hinaus, der Pass früher oder später dem lockeren Tölt, relativ stark im Weg steht. Um reiterlich die Verschiebung des Gangs zu bewirken, wird das Pferd mit Steigerung des Drucks, in noch größere Körperspannung gebracht: Das typische Kopf hochziehen (oder runter) und von hinten treiben.  Alternativ oder zusätzlich kommen Gewichte oder lange Zehe vorne zum Einsatz, was den Gang vom Pass in den Tölt verschiebt mit dem - für viele Turnierreiter netten - Zusatzeffekt hat, dass die Vorhandbewegung durch das zusätzliche Gewicht verstärkt wird.

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Gelegentlich habe ich bezüglich der Speed Racking Horses in letzter Zeit gehört, man ließe sie „wegrennen“. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass für den Betrachter die Optik entsteht. Diese Optik entsteht aber, weil der Druck, unter dem ein passiges Pferd geritten werden muss, entfällt und weil ein gut veranlagtes Pferd durchaus in der Lage ist, im Takt, im Tempo am langen Zügel zu tölten. Bei einem Speed Racking Horse, dass mit bis zu 50kmh geht, ist es insofern nicht verwunderlich, dass in lockerer Haltung der Eindruck des Rennens entsteht. Ein Rennpferd läuft auch nicht in Versammlung, sondern muss sich strecken können. Natürlich ist also in diesem Tempo das gestreckte Pferd, nicht das Pferd in Versammlung, das erzeugt wird, in dem man zusätzlich zum Treiben von Hinten, das Pferd nach vorne begrenzt. Wird ein passiges Pferd am lockeren Zügel zumindest so lange geritten, dass es merkt, dass es frei laufen kann, wird es in wenigen Metern in den Pass oder zumindest Passverschiebung verfallen, je nachdem wie stark die Passveranlagung ist und wie lange vorher bereits trainiert wurde. Die Kunst, mit einem passverschobenen Pferd etwas Tempovarianz im Tölt zu erreichen, liegt also darin, den Zeitpunkt, wann es in den Pass fällt, so weit wie möglich hinauszuschieben.

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     2.2 Trabige Gangpferde

Auch bei dem trabigen Pferd kann es Frustration geben. Diese findet man in der Regel eher am Anfang des Trainings. Je nachdem wie stark die Trabveranlagung ist, kann es eine Weile dauern, bis das Pferd den Tölt findet. Bergabreiten hilft oder auch analog zum „fuddeln“ beim passigen Pferd am vorderen Huf, hilft eine längere Zehe hinten. Wir verzichten gerne auf diese Tricksereien, denn in aller Regel ist das gar nicht nötig, sondern es braucht nur etwas länger Zeit und Übung als mit Tricksereien, um auch hier den vierten Gang einzuschalten.

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Meiner Erfahrung nach, hilft trabigen Pferden, das Tempo so wie es den Passigen eher entgegensteht. Die meisten trabigen Pferde zeigen in den Übergängen den Tölt und diese Übergänge muss man bewusst suchen und fördern sowie in der Zeit verlängern. zB durch Zurücknehmen aus einem verstärktem Trab und Lob sowie Belohnung durch Nachlassen der Hilfen, wenn es in den Tölt verschiebt. Interessanterweise kann sogar die Begleitung eines töltenden Pferdes im hörbaren Takt, Fortschritte bringen.

Warum ich persönlich eher trabige Pferde mag, liegt nicht nur daran, dass die begehrte Einbeinstütze (komme ich später noch dazu) durch die naturgegebene nötige Diagonalität viel leichter zu erreichen ist, sondern auch deshalb, weil trabigere Pferd vielleicht beim Start etwas anspruchsvoller sein mögen, dafür, wenn sie den Tölt einmal verstanden haben, dieser wie das Schwimmen eines Kindes, nie wieder verlernt und nur noch besser wird.

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Ich habe mich mit sehr vielen Islandreitern unterhalten. Ich finde diesen Austausch außerordentlich spannend, da sich der Isländer und der Speed Racker von der Gangmechanik meines Erachtens am Nähesten stehen. Als einzige Rassen werden die Pferde dieser Rassen neben den Grundgangarten, auf die Gangarten Tölt, Renntölt, Singlefoot und Rennpass gezüchtet. Dabei unterscheide ich ganz klar, den Tölt(Rack) vom Singlefoot. Jeder Singelfoot ist zwar ein Tölt aber nicht jeder Tölt(Rack) ist ein Singlefoot. Oder anders: (Nur) ein Tölt (Rack) in Einbeinstütze ist auch ein Singlefoot.

 

 

Exkurs:

Und an dieser Stelle muss ich auch mal kurz als Exkurs  daran erinnern, was Zucht eigentlich bedeutet: Die bewusste Selektion auf bestimmte Merkmale, um diese zu verstärken und zu verbessern. Ja, es gibt auch Zufallsergebnisse, es gibt auch den 6er im Lotto, so dass ein Pferd, das auf andere Merkmale gezüchtet ist „aus Versehen“ ein Merkmal zeigt, dass mir gefällt. Der einzelne Reiter, der dieses Pferd hat und sich daran erfreut, dem sei dies gegönnt. Aber es ist realitätsfern zu denken, dass man wegen dieses einen Zufallsergebnisses auf zukünftige Zuchtergebnisse oder Merkmale des Rests dieser Rasse schließen könne oder gar vom Individuum auf die Masse zu schließen und die ganze Rasse als besonders tauglich für dieses Merkmal zu erklären. Das würde jede Wissenschaft von Zucht der letzten Jahrhunderte Lügen strafen und ist schlicht Betrug.

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      2.3 Der Singlefoot

Viele Isländer und laterale Speed Racker brauchen ein gewisses Tempo, um in die Einbeinstütze zu verschieben. Die Einbeinstütze erfordert nämlich ein leicht verschobenes Gangbild zugunsten der Hinterhand, es ist eine diagonalere Gangart als der Tölt in Zweibeinstütze. Ein Pferd, das im Tölt nicht untertreten kann, wird in der Regel keinen Singlefoot finden und tendenziell schiebt auch ein Pferd mit etwas mehr Vorhandbewegung etwas später vom Zweibeinstütz-Tölt in den Singlefoot. Ein Pferd, das einen sehr starken Untertritt hat, wird dagegen schon im langsameren Tempo leicht in den Singlefoot gehen. Ein passiges Pferd, das etwas Tempo braucht, um in die Einbeinstütze zu kommen,  wird das Problem haben, dass es in der Beschleunigung in den Pass verschieben will. Daher sieht man bei den lateralen Pferden in der Regel im moderaten Tempo im Tölt eine Zweibeinstütze, bei mehr Tempo eine kurze Phase des Singelfoots/ Einbeinstütze, bevor es in den Pass oder zumindest in die Lateralverschiebung fällt.

 

      3. DMRT3 Pass-Gen oder Gatekeeper-Gen?

Viele Islandleute haben erkannt, dass die Einbeinstütze, die so unglaublich viel Spaß macht, ein etwas trabigeres Pferd erfordert. Hier kommen wir zur Bedeutung des Ganggens DMRT3. Die Isländerleute bezeichnen dieses Gen gerne als Passgen. Es wird auch schnell klar warum: Die Isländer, die das Gen homozygot, heißt reinerbig tragen, sind (potenzielle) Rennpasser. Tatsächlich züchten sie, um diagonale Pferde zu erhalten, mit heterozygoten Pferden, heißt Pferden, die genetisch keinen Pass können. Die Zucht mit heterozygoten Pferden bedeutet jedoch, mindestens 25% Dreigänger, gänzlich ohne Tölt, zu züchten. Das ist die Ursache dafür, warum man unter den Isländern eine deutlich höhere Zahl an Dreigängern findet als man manchmal wahrhaben möchte.

 

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In den USA bezeichnet man das Gen nicht als Passgen, sondern „Gaitkeepergene“. Warum? Weil der Begriff „Passgen“ viel zu kurz springt. Vielmehr bewirkt das Gen, dass das DMRT3 homozygote (reinerbige)  Pferd im Vergleich zu nicht homozygoten Pferden erst später den Gang bricht. Macht man sich diesen Begriff deutlich, versteht man auch, warum ein für den Trabrennsport gezogener American Standardbred genauso homozygot für das Gen ist wie ein auf das Passrennen gezogener American Standardbred: Sind sie homozygot für das Gen, verhindert das tendenziell, dass sie in den Galopp, die nächst „höhere“ Gangart fallen, egal ob aus dem Trab, Tölt oder Pass, sie können Renntrab, Rennpass oder Renntölt. In der Tat kann man einen für Trabrennen gezogenen Standardbred , das ganze Leben lang in allen Tempi im Trab beobachten ohne je einen Schritt Pass zu sehen, obwohl das Pferd reinerbig für DMRT3 ist und somit potenzieller 5 Gänger, genau so wie ein passiger Isländer. Wie kann so etwas sein?

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Die wissenschaftliche Forschungsarbeit Jägerquist et al aus 2014 „The DMRT3 ‘Gait keeper’ mutation affects performance of Nordic and Standardbred trotters„ erklärt es. Diese Studie kommt zu folgendem Schluß:

„Die CA-Nordic-Traber (CA=heterozygot) hatten auch eine gute Trabtechnik, im Gegensatz zu Standardbreds mit dem Genotyp CA, die viel mehr Probleme damit haben, bei höheren Geschwindigkeiten einen gleichmäßigen Trab zu halten. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der allgemeinen Beobachtung, dass die phänotypische Wirkung von DMRT3 zwischen den Rassen variiert. Die gute Leistung der CA-Pferde ist eine vernünftige Erklärung für die geringere Häufigkeit des mutierten Allels bei nordischen Trabern im Vergleich zu Standardbred-Trabern.

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… Bei Standardbreds liegt die Häufigkeit des mutierten Allels seit den 1950er Jahren konstant bei etwa 98 %, während die Häufigkeit bei den nordischen Trabern 1970 über 30 % erreichte und seitdem recht stabil ist

 „

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4. Schlussfolgerungen

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Das erklärt:

  1. Warum heute so gut wie 100% der American Standardbreds, egal ob für Trabrennen oder Passrennen gezogen, homozygot=AA für DMRT3 sind: Sie brechen den Gang zu oft, wenn sie nicht reinerbig veranlagt sind und somit sind die Gewinnsummen geringer gewesen und man ist dazu übergegangen, auf DMRT3 und Reinerbigkeit zu testen und bewusst nur reinerbige Pferde zu ziehen.

    • Das bedeutet, dass alle American Standardbreds (reinerbige) Gangpferde sind.

    • Das bedeutet, dass fast alle Speed Racking Horses, die zu 90-100% aus American Standardbreds bestehen, reinerbige Gangpferde sind

    • Das bedeutet, dass auch Speed Racking Horses, entgegengesetzt dem Isländer oder hiesigem Traber zB, eine andere phänotypische Wirkung des DMRT3 auf den Gang haben

  2. Warum der Nordische Traber, heißt die hiesige Traberpopulation, viele heterozygote Pferde in der Population hat:

    • Die Zucht auf Reinerbigkeit (DMRT3 AA), auf die Lebensleistung/Gewinnsumme gesehen, brachte nicht wirklich Vorteile, im höheren Alter sogar Nachteile, was die niedrige Ausprägung von homozygoten (AA) Trabern in Europa erklärt. Viele CA (heterozygoten) Pferde in einer Population, heißt aber immer auch, dass zwangsläufig CC=nicht Träger von DMRT3 in der Zucht entstehen wie bei den Isländern auch, das heißt Pferde, die gar keine Gangveranlagung haben.

 

„Unsere Ergebnisse für Nordic-Traber zeigen, dass DMRT3-Wildtyp-Homozygoten die schlechtesten Leistungsergebnisse erzielen, sowohl was die Rennzeit als auch die Einnahmen und Siege betrifft.“

          

   3. Die phänotypische Wirkung von DMRT3 variiert zwischen den Rassen: Für Gangpferdeleute eine bahnbrechende Erkenntnis: Bewirkt die homozygote Ausprägung bei Isländern eher Pass so bewirkt sie bei American Standardbreds auch, dass der Renntrab besser gehalten wird.

 

Schlussfolgerung für den europäischen Traber oder auch vergleichbar Islandpferd im Vergleich zum American Standardbred und Speed Racking Horse, denen die homzygote Ausprägung von DMRT3 hilft, den Trab und Tölt im hohen Tempo zu halten:

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„ Wie in dieser Studie gezeigt wurde, haben CA-Pferde (Anm: Bezogen auf Nordic Trotter) am häufigsten einen sauberen „nicht passigen“ Trab, was bedeutet, dass sie leicht zu trainieren und zu fahren sind und nicht im gleichen Maße wie CC- und AA-Pferde ausbalanciert werden müssen. Daher haben Nordic-Traber mit AA, die Fähigkeit, zwar sehr schnell zu werden aber es kann schwieriger sein, sie zu trainieren, da sie dazu neigen, in den Pass zu fallen.”

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Was bedeutet das für das Speed Racking Horse, das zu einem sehr erheblichen Anteil aus American Standardbred (Trotter oder Pacer) besteht?

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Der Pacer hat natürlich einen lateral Einfluss auf den Gang. Anders, als Erfahrungen aus der Islandzucht gegebenenfalls befürchten lassen, heißt der Zuchteinsatz von „Trottern“ allerdings nicht, dass eine nicht unerhebliche Anzahl Dreigänger unter den Zucht-Ergebnissen ist. Die Speed Racking Horses, die „Trotter gezogen“ sind, haben vielmehr das einzigartige Merkmal, dass sie, obwohl sie trabig sind – also optimal für Singlefoot – dennoch homozygot für Gang sind. Diese Kombination gibt es bei Isländern oder deutschen Trabern in der Regel nicht, weil ihre Gangmechanik wie oben wissenschaftlich diskutiert, anders ist als bei den American Standardbreds.

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